19 STÖRUNGEN DES SOZIALVERHALTENS
Dissozialität: Abweichung von altersgemässenRegeln und Normen und/oderBeeinträchtigungderRechteanderer. KlinischeBezeichnung: Störung des Sozialverhaltens.
Delinquenz: Handlungen, die von gesellschaftlichenKontrollinstanzenverfolgtwerden.
Verwahrlosung: Anhaltende und generalisierteAbweichung von sozialenNormenalsErgebniseinerStörungderPersönlichkeitsentwicklung.
Conduct disorders („Verhaltensstörungen“)
F91 Störung des Sozialverhaltens
· F91.1 Störung des SozialverhaltensbeifehlendensozialenBindungen
· F91.2 Störung des SozialverhaltensbeivorhandenensozialenBindungen
· F91.8 SonstigeStörungen des Sozialverhaltens
· F91.9 Störung des Sozialverhaltens, nichtnäherbezeichnet
F92 KombinierteStörung des Sozialverhaltens und derEmotionen
· F92.0 Störung des SozialverhaltensmitdepressiverStörung
· F92.8 SonstigekombinierteStörung des Sozialverhaltens und derEmotionen
· F92.9 Komb. Störung des Sozialverhaltens u. derEmotionen, nichtnäherbezeichnet
Reaktive (heisse)/aktive Aggression
feindselige/instrumentalisierte Aggression (Schadenszufügung/Gewinn)
körperliche/indirekte Aggression
Wiederholendes und andauerndes Muster dissozialen, aggressiven oder aufsässigen Verhaltens; Mindestdauer: 6 Monate
· Nach Geburt: schwieriges Temperament
· Vorschulalter: Hyperaktivität, offene Aggression/oppositionell-aufsässiges Verhalten
· Kindesalter: defezitäre Sozialbeziehungen, Lernstörungen, verdeckte Störungen des SV
· Jugendalter: Aufnahme in Gruppe dissozialer Jugendlicher, Delinquenz
· Frühes Erwachsenenalter: antisoziale Persönlichkeit/Kriminalität
- Frühbeginnend-persistierende Typ/ adoleszentär-begrenzter Typ
- Stabilen /zeitlich begrenzten /späten Entwicklungstyp
- Autoritätskonflikt-(meist Ende mit Adoleszenz)/offenen(leichte Aggression bis Gewalt)/verdeckten(Stehlen, Sachbeschädigung, Einbruch)Entwicklungspfad
Leitsymptome:
FrüheKindheit: Oppositionell-trotzigesVerhalten, Wutausbrüche ,körperlicheAggression, provozierendesVerhalten
MittlereKindheit:Lügen, Stehlen, Regelverletzungen, Tierquälerei, Hänseln, Zündeln
Adoleszenz:Grausamkeit,Gewaltanwendung, Zerstörung, Weglaufen,Substanzmissbrauch, Raub, Einbruch,Vandalismus
HÄUFIGKEIT: Schulalter: 2-4%, Jugendalter 6-12%
(oppositionell-trotzigesVerhalten: Vorschulalter 4-9%, Schulater 6-12%)
· Periodeneffekt: Anstieg in den letztenJahrzehnten
· Geschlechtereffekt: B:M=4:1
· Sozialschichteffekt: 3-4 x häufiger in niedrigenSozialschichten
· Interventionsdefizite: nur 15-25% Hilfe
DIAGNOSTIK:
· Eigenanamnese
o prä/perinataleRisikofaktoren
o EntwicklungmitBetonung von Temperament
o Bindungsstörungen, HKS
o Misshandlung, sex. Missbrauch
o Krankheitenspeziellmit ZNS-Bezteiligung
o EntwicklungderSymptome
· Familienanamnese
o Belastungen, Ressourcen, Bewältigung
o elterlicheErziehungsfertigkeiten
o BelastungmitDissozialität, psych. Störungenz.B. HKS, Alkoholismus, Psychosen, Affektstörungen, PS, HOPS, Epilepsie
o Heimaufenthalte, Pflegeverhältnis, Adoption
· Psychiatrische Exploration
o Bindung, Verrtrauen, Empathie
o Impulssteuerung
o Affektkontrolle
o Schuld- und Verantwortungsgefühl
o KognitiverEntwicklungsstand
o Stimmung, Affekte, Selbstwertgefühl
o Realitätsprüfung
o BeziehungzuGleichaltrigen
o Drogeninkl. Nikotin und Alkohol
o Leistungsstörungen
· TestpsychologischeUntersuchungen, Leistungstests, Persönlichkeitstests
o FragebogenzuStärken und SchwierigkeitenFremd/Selbst (SDQ)
o Eltern-FB/Child-Behavior Checklist (CBCL)
o Teacher-Rating-Form (TRF)
o Jugendlichen FB/ Youth Self Report (YSR)
o VerhaltensbeurteilungfürVorschulkinder (VBV)
o Fremdbeurteilungsbogenfür St. d. SV (FFB-SSV) des DISYPS-II
o Selbstbeurteilungsbogenfür St. d. SV (SBB-SSV)
· KörperlicheUntersuchung(beispeziellerIndikation):
o Internist.,neurologischeUntersuchung, Seh- und Hörvermögen
o Labordiagnostik, Drogenscreening
o MRI, EEG (psychomotorischeepilept. Anfälle m. aggressivenDurchbrüchen- interiktal)
· Komorbidität: emotionaleSt.,HKS, organischePsychosyndrome, spezifischeLernstörungen, Drogen
· DD: HKS, Affektstörungen, Psychosen, Anpassungsst.,Autismus-Spektrumsstörungen, Antisoziale PS, Bandendelinquenz
ÄTIOLOGIE:
MultifaktoriellesModell
· Individuum: BiologischeFaktoren, Persönlichkeit, Temperament
· Sizuationsfaktoren: Kontext, Anreiz, Auslöser
· Mikrosystem: Familie
· Exosystem: SozialeUmwelt(Gleichaltrigengruppe, Schule)
· Makrosystem (Gesellschaft und Kultur;Massenmedien)
Modellfür die Auslösung von Aggression:
Situationsfaktoren
SchwelleAggression
Y: Auslöserod.Enthemmer(z.B. Alkohol, Drogen, Wut…)
X: Provokation/Anreiz(z.B. Herausf.,Rivalitäten, Streit, Verlangen n.Besitz, Macht/Kontrolle)
W: Umfeldbedingungen(z.B. Waffenbesitz, Veränderungd. Kontrolle oder Überwachung)
V: Missachtung von Konsequenzen(z.B. von Entdeckung u.Bestrafung)
U: direkte aggressive Verhaltensmodelle(z.B. in Familie, unterGleichaltrigen)
T: indirekte aggressive Verhaltensmodelle(z.B. Figuren in Videos, Comics, Filmen)
S: persönl.Lebensgeschichte(z.B. Opfer v.Gewalt, Vertärkungfrüherer Aggression/Gewalt)
R: Persönlichkeitsmerkmale(z.B.Impulsivität, Risikoversuche, Temperament)
Q:BiologischeFaktoren
IndividuelleFaktoren:
Individuum (Risiko-/Schutzfaktoren)
- :genetische, neurophysiolog.,neurochem., prä-/perinataleRisikofaktoren, schwieriges Temperament, männlichesGeschlecht, belastendeLebensereignisse,Zeuge v.Gewalt,Drogenmissbrauch,Lernstörungen,niedrigesSelbstbewusstsein
+ :Autonomie,sozialeKompetenz,Problemlösefertigkeiten,Impulskontrolle,Anpassungsfähigkeit,Selbstwert,Intelligenz,Sensibilität/Empathie, Altruismus,höheresBildungsniveau
Familie
- :Disharmonieder Partner,Trennung/Scheidung,Vernachlässigung/MisshandlungdysfunktionaleErziehung, mangelndeProblemlösefertigkeiten u.Kommunikation, psychischeStörungen, spez. Alkohol- u.Drogenmiss-brauch,Kriminalität,Duldung von Delinquenz,ökonomischeBelastung,Familiengröße/ dichteGeburtenfolge
+ :stabile Partnerschaft,Fürsorge,Unterstützung, emotionaleZuwendung,Disziplin, Belastbarkeit, positive Kommunikation, hoheErwartungen, stabile finanzielleVerhältnisse,Familiengröße< 4 P, genügendWohnraum
SozialeUmwelt
- :Wohndichte/–qualität,Mangel an sozialenDiensten, sozialeDesintegration, schlechteSchulen, niedrigesBildungsangebot, dissozialeFreunde/ Jugendbanden, hoheKriminalität,Drogen
+ :Versorgung, Unterstützung, dichtesNetzsozialerDienste, soziale Integration,hoheErwartungen, niedrigeKriminalitätsbelastung, fehlenderDrogenhandel
Gesellschaft
- :ökonomischeStrukturveränderungeArbeitslosigkeit,Armut, reduzierteSozialhaushalte,Ghettoisierung, unkritischeGewaltdarstellung in Medien, kulturelleBegünstigung v Gewalt
+ :Versorgung,Unterstützung, ökonomischeSicherheit, soziale Integration/ Bürgerbeteiligung, wirksameSozialpolitik, strikteGesetzesanwendung, Vermittlung von Gewaltlosigkeit (Medien)
PersonaleRessourcen: weiblichesGeschlecht (nur in derKindheit),Erstgeburt,pos. Temperament (flexibel, aktiv, offen),pos.Selbstwertgefühl, überdurchschnittl.Intelligenz,pos. Sozialverhalten m.sozialerAttraktivität
FamiliäreRessourcen: stabile emotionaleBeziehungzueinerBezugsperson,offenes/unterstützendesErziehungsklima,familiäreKohäsion,ModellepositiverBewältigung
Extrafamiliäresoz.Ressourcen: soz.Unterstützung, pos.Freundschaftsbeziehungen,pos.Schulerfahrungen
19.2 STÖRUNGEN DES SOZIALVERHALTENS IM KINDESALTER
· OffeneVerhaltensweisen: Schreien, Schlagen, Hänseln…
· VerdeckteVerhaltensweisen m. Eigentums- u.Regelverletzungen: Schulschwänzen, Stehlen, ,Lügen, Zerstören, Zündeln…
· Mitzunehmenden Alter: destruktiveVerhaltensweisen (Vandalismus), körperlicheAuseinandersetzungen, Einbruch, DrogenmissbrauchmitDelinquenz, Anschluss an andereälteredelinquente Kinder/Jugendliche
KLINIK:
KoexistenzmiteinerReihe von anderenStörungen/DD:
· HKS (ungewöhnlichhäufigeKombination)
· Hirnstörungen (Organ. Psychosandrom; raptusartigeAffektdurchbrüche)
· SpezifischeLernstörungen
· Anpassungsstörungen (Lebensereignnisse und Belastungen)
· Substanzmissbrauch (Präadoleszenz; Delinquenz)
· Psychosen (auspsychotischen Angst/WahninhaltenresultierendeAggressivität)
· Manien (aggressive Gespanntheitbzw. Stimmungsveränderungen)
· KombinierteStörungen des Sozialverhaltens: Angst offenoderverdecktnebenaggressiven und antisozialenHandlungen, depressive Symptome, ausderUmweltstammendeÄngste und Befürchtungen
THERAPIE UND VERLAUF:
· KomorbideStörung?>TherapiederkomorbidenStörung; funktionelle/ neuropsychologischfundierteÜbungsbehandlungen (HKS, Lernst.)
· AggressivesVerhalten in Familie/ inkonsist. Erziehungsverhalten/ mangelndeWärme?>Elterntrainig und Intervention in derFamilie
· AggressivesVerhalten in Kindergarten/Schule?>Interventionen in KG/Schule
· Defizite in sozialkognitiverProblemlösung?>Problemlösetraining
· MangelndeImpulskontrolle?>Impulskontrolltraining
· MangelndesozialeFertigkeiten?>sozialesKompetenztraining
VerhaltensorientiertemultimodaleBehandlungmit Intervention in Familie, Schule und Peers in KombinationmitpatientenzentriertenMassnahmen
Kombination von PT und VTbeikombiniertenStörungen
FamilienzentrierteVerhaltenstherapie:
· SystematischeVerhaltensbeobachtung
· Elterntraining
o AufmerksamkeitderEltern auf jeweilszuveränderndesVerhalten
o Reduktion des offenen/verdecktenaggressiven/antisozialenVerh.
o Veränderungderunangemessenen und irritierendenReaktionen
o VeränderungderungenügendenGrenzsetzungen
o VeränderungdernegativenEinstellungderEltern
o VerstärkungprosozialerVerhaltensweisen (Geschwisterrivalitätvermeiden, konsequenteDurchsetzung)
o MildeBestrafungunangemessenenaversivenVerhaltens (Vermeidung vonineffizienten/ willkürlichen/ körperlichen/ laissez-faire Erziehungsmustern)
o Methodeder Wahl: SozialeAusschluss (Time-out)
o VerdeckteFormen: VermittlungVerhaltensmodifikationoffenerFormen,;keineDiskussion ob, sondernGründefürentsprechendeAnnahme und dementsprechenKonsequenz (z.B. Hausarbeit)
· Kind/Jugendlicher:
o WahrnehmungeinerKonkliktsituation
o Entwicklung/Umsetzung von Handlungsalternativen
o EigenesVerhaltenangemessenbewerten
o Emotionale Impulse/ Affekteangemessenkontrollieren
· TrainingsmanualeauchfürSchule/ Kindergarten (Faustlos…)
Verlauf:
· ungünstigeralsbeianderenStörungen in KJP
· 60% derErwachsenenmitdissozialen PS bereitsals Kinder dissozial
· 50% derantisozialen Kinder keineantisozialenErwachsenen
19.3 JUGENDDISSOZIALITÄT UND –DELINQUENZ
Delinquenz: Kategorie von dissozialenHandlungen, von Kontrollinstanzenverfolgt (Jugendamt, Schulbehörde, Jugendgericht, Polzei);
Untergruppe m.abweichendenPersönlichkeit: GefühlsarmenPersönlichkeitszügen, Psychopathie;
KLINIK:
inAnamnesehäufige KH-Aufenthalte, perinataleRisikofaktoren, Kopf- und Gesichts-verletzungen, Misshandlungen, positive AnamnesefürEpilepsie, HKS
Komorbiditäten:
HKS, paranoid-halluzinatorischeSymptome, Drogenmissbrauch, Lese-Rechtschreib-St.,Manien, organ. Psychosyndrome, PTSD, Anpassungsstörungen, Impulskontrollst., Borderline-PS, Zwangsst., multiimpulsiven Bulimia nervosa
THERAPIE:
komorbideStörungen:
· medikamentös (Neuroleptika, Antikonvulsiva, SSRI)
· PT (beiemotionalenStörungen
MultimodalesBehandlungsprogramm:
· VerbesserungderBeziehungsfähigkeit, sozialenFertigkeiten, Konfliktlösef.
· Realistisches und angemessenesSelbstkonzept
· Problemlösefertigkeiten
· Bearbeitung von Bildungs- und Ausbildungsdefiziten
· Ablösung v.dissozialenGruppen und Integration in GruppenmitkonformemVerhalten
· Entwicklung von Neuorientierung und Gewissen
Psychologische und pädagogischeBehandlungsprogramme, Sozialarbeit, Milieutherapie, Gruppenarbeit, Heimunterbringung, Familienarbeit
Verhaltenstherapie:ProgrammezurVerbesserung von Arbeitsverhalten, Problemlösefertigkeiten, Impulskontrolle, Sozialkompetenz (Diskriminationslernen, Modelllernen, Verhaltensformung, Verstärkung)
Prognosenichtnotwendigerweiseschlecht